Freiheit für Königsberg

Grundsteinlegung der Neuen Synagoge in Königsberg

In Königsberg wurde am vergangenen Sonntag der Grundstein zum Wiederaufbau der Neuen Synagoge gelegt



Der 16. Oktober 2011 war für das Königsberger Judentum ein besonderer Feiertag: Auf der Lomse wurde an der Lindenstraße („uliza Oktjabrskaja“ Nr. 3), in unmittelbarer Nähe des Doms, in einem feierlichen Akt mit dem Wiederaufbau der alten Neuen Synagoge begonnen. Der neue Bau soll sich am ursprünglichen Entwurf des deutsch-jüdischen Architekturbüros Cremer & Wolffenstein orientieren. Die 1896 eingeweihte liberale Synagoge war die Hauptsynagoge Königsbergs und Zentrum des örtlichen Judentums, das sich seiner deutschen Umgebung weitgehend assimiliert hatte. Sie galt Kennern der Materie als eine der schönsten Synagogen Deutschlands oder sogar Europas.




Durch die Zuwanderung von Juden aus dem östlichen Europa ist Königsberg seit dem 19. Jahrhundert nach Berlin und Breslau zum dritten Zentrum des deutschen Judentums geworden, so daß zeitweise bis zu drei Prozent der Königsberger Bürger Anhänger des mosaischen Glaubens waren. Schon im 17. Jahrhundert hatte es in Königsberg eine erste Synagoge gegeben, zu der sich im Laufe der Zeit weitere Gotteshäuser für die verschiedenen Ausprägungen des Judentums gesellten. Seit der Gründung des Kaiserreichs setzte sich unter den Königsberger Juden endgültig eine liberale Ausrichtung durch, wobei es in der Hauptgemeinde unter anderem zur Einführung der deutschen Sprache sowie des Orgelspiels in den Gottesdienst kam. Dies führte zu Auseinandersetzungen und schließlich zu einer Spaltung der Gemeinde in eine orthodoxe und eine progressive Gruppe, die nun beide ihre eigenen Synagogen bauten. Die kleine orthodoxe Gemeinde Adass Jisroel baute ein neues Gotteshaus an der alten Synagogenstraße, die rasch anwachsende liberale Gemeinde bezog die im Vergleich zur nunmehrigen Alten Synagoge deutlich größere Neue Synagoge auf der Dominsel. Dieses liberale Gotteshaus zeigte seine Hinwendung zum Deutschtum nun nicht nur in der seinen Innenraum prägenden großen Orgel, sondern auch in seiner Fassade: Maßgeblich scheint hier die typische norddeutsche, auf den Deutschen Orden verweisende Backsteingotik auf, welche mit einigen orientalisierenden Elementen verschmolzen wurde. Alle Königsberger Synagogen erlitten im Zuge der sog. „Reichskristallnacht“ schwerwiegende Beschädigungen. In der Neuen Synagoge wurden dabei nicht nur die Torarollen verbrannt, sondern in gleicher Weise symbolisch auch die Orgel - augenscheinlich um den Ausschluß der Juden aus der deutschen Kulturgemeinschaft zu versinnbildlichen. Das Gebäuse selbst wurde erst während des verheerenden Luftangriffs der Briten auf Königsberg weitestgehend zerstört und schließlich in seinen letzten Überresten nach dem Krieg abgetragen.


Nur eine handvoll Königsberger Juden überlebte den Krieg und die sowjetische Besatzung in ihrer Heimatstadt, und fast alle davon sind entweder in die nachmalige Bundesrepublik vertrieben worden oder in andere Gebiete der Sowjetunion bzw. ins Ausland abgewandert. Die heutige jüdische Bevölkerung des Königsberger Gebietes setzt sich daher aus landesfremden Zuwanderern zusammen, die erst nach dem Krieg aus anderen Gebieten der einstigen Sowjetunion hierhin eingewandert sind. Die meisten von ihnen sind entweder areligiös oder hängen orthodoxen Richtungen des Judentums an, wobei keiner der Zuwanderer in der Tradition der ursprünglichen deutsch-jüdischen Gemeinde steht.


Schon seit einiger Zeit gab es seitens des orthodoxen Königsberger Rabbinats unter Oberrabbiner David Schwedik Bestrebungen, die Neue Synagoge wiederaufzubauen. Bisher reichten dazu freilich die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht aus, da das Königsberger Rabbinat offiziell nur etwa 2.000 Gläubige zählt und diese nicht unbedingt eifrige Synagogengänger sind. Überraschend ist dem „Fond zur Errichtung der Königsberger Synagoge in Kaliningrad“ im September doch noch eine Spende zugegangen, die den Synagogenbau ermöglichte. Rabbiner Schwedik hielt sich bisher über die Herkunft des Geldes bedeckt, doch zur Grundsteinlegung ließ das Rabbinat durchsickern, daß der Königsberger Handelsmagnat und Multimillionär Wladimir L. Kazman etwa fünf Millionen Euro für den Bau gespendet habe. Kazman wurde nun auch bei der Grundsteinlegung offiziell als Hauptgeldgeber vorgestellt.


Am Sonntag, dem 16. Oktober, begann um 12 Uhr Ortszeit die feierliche Zeremonie der Grundsteinlegung unter der Leitung des Königsberger Oberrabbiners. Der Termin war nach jüdisch-kabbalistischen Erwägungen bestimmt worden, da er in die Zeit des Laubhüttenfestes und dabei zugleich auf den 18. Tag des Monats Tischri fiel, so daß sich der Feiertag mit der kabbalistischen Glückszahl 18 - dem Zahlwert des hebräischen Wortes chaj = Leben - kombinierte. Neben Schwedik sprachen dabei unter anderem Bürgermeister Alexander Jaroschuk sowie weitere Vertreter der Politik und des örtlichen Judentums. Unter ihnen befand sich auch der bundesdeutsche Konsul Aristide Fenster, dessen Anwesenheit von den russischen Medien auffälligerweise nicht erwähnt wurde. Zugegen waren zudem einige Abgeordnete der Gebietsduma und des Stadtrates sowie konsularische Vertreter Litauens, Polens und Deutschlands, vor allem aber jüdische Einwohner Ostpreußens. Nach Angaben der Jüdischen Gemeinde kamen so insgesamt etwa 100 Teilnehmer zusammen, tatsächlich aber waren es nur gut halb so viele. Diese geringe Beteiligung spiegelt die beschränkte Bedeutung der jüdischen Religion im Königsberger Gebiet wider, die diametral im Verhältnis zur Dominanz jüdischer Vertreter in der regionalen Wirtschaft und Politik steht.


- „Als stolzer Jude möchte ich in Königsberg leben !“ -


Neben den allgemeinen Ansprachen wurde durch Rabbiner Schwedik der Grundstein, bei dem es sich allerdings nicht um einen Baustein, sondern um einen großen Granitblock handelt, feierlich enthüllt und geweiht. Auf ihm befindet sich eine Tafel mit einer Inschrift in hebräischer und russischer Sprache, die neben dem Datum die Worte „Grundstein des Wiederaufbaus der Königsberger Synagoge“ beinhaltet. Ausdrücklich wird hierbei der deutsche Name der Stadt verwendet, der damit offiziell Teil des neuen Gebäudenamens wird. Daran änderten auch gegenteilige Bemühungen des Rabbinatssprechers, Zeitungsherausgebers und Anführers einer regionalen Rockergruppe Lwowitsch Sterlin nichts, der nicht nur in dieser Hinsicht von seiner eigenen Gemeinde isoliert ist. Auch Finanzier Kazman ist ein bekennender Anhänger des Namens „Königsberg“, dessen offizielle Wiedereinführung er in der letzten Zeit öffentlich gefordert hat. In einem Zeitungsinterview sagte er dazu: „Als stolzer Jude möchte ich in Königsberg leben !“ Mit einem Massenmörder wie Kalinin will die Jüdische Gemeinde in Königsberg jedenfalls nichts zu tun haben.



Ohne Streit verlief freilich auch die Grundsteinlegung nicht. Die Jüdische Gemeinde bringt seit Jahren die russischen Behörden durch eine intensiv betriebene Erinnerung an den „Holocaust“ gegen sich auf, durch die sie sich in Konkurrenz zur staatsdoktrinären Sicht auf die sog. „Opfer des Faschismus“ setzt. Zuletzt mußten sich die russischen Sicherheitsbehörden heftige Vorwürfe durch Vertreter des Rabbinats anhören, weil die Urheber antisemitischer Aufschriften auf Holocaust-Gedenktafeln nicht durch die neue russische Terrorabwehrbehörde, sondern mit eher wenig Engagement durch die normalen Polizeistellen verfolgt wurden. Dies dürfte ein Grund dafür sein, daß eine Reihe führender Politiker nicht zur Zeremonie erschienen ist. Wenig erfreut von der neuen Synagoge zeigten sich auch die Mitarbeiter eines stationären Zirkus', der auf dem ehemaligen Synagogengelände gebaut worden war und nun überraschend in ein neues Domizil umziehen muß. Das Beharren der Jüdischen Gemeinde auf dem frühen Einweihungstermin führte bei den Artisten zu einigem Ärger und dürfte dazu beigetragen haben, daß während der Zeremonie über längere Zeit laute Musik aus der nahegelegenen Zirkuskuppel erklang, durch die das Gebet des Rabbiners und mehrere Reden weitgehend übertönt wurden. Wenig Respekt vor der Zeremonie zeigte unfreiwillig auch Bürgermeister Jaroschuk, indem er sich religiös unbewandert bei der Weihe des Steins in vermeintlicher Anpassung an die Situation nach ostkirchlichem Ritual bekreuzigte und zugleich eine russisch-orthodoxe Gebetsformel sprach - sehr zum Unwillen etlicher jüdischer Teilnehmer.



Über die baulichen Details des Wiederaufbaus besteht offenbar noch eine weitgehende Unklarheit. Während offiziell gesagt wird, es handele sich um einen historisch genauen Wiederaufbau, äußerte Oberrabbiner Schwedik gegenüber der jüdischen Gemeindezeitschrift „Simcha“, daß das Gebäude „kleiner als das vorherige“ ausfallen werde. Die neue Synagoge solle ein „kulturelles, wohltätiges, erzieherisches und sportliches Zentrum“ darstellen. Daß damit die ursprüngliche Inneneinrichtung in ihrer Gesamtheit ebenso hinfällig sein dürfte wie im speziellen die einstige Orgel, die den neuen orthodoxen Nutzern als ein Frevel erscheinen muß, ist evident. Die beschriebenen Funktionen belegen die Absicht, die kleine jüdische Gemeinschaft weiter von ihrer nichtjüdischen Umgebung abzugrenzen, was zwar ganz ostjüdischer Tradition entspricht, aber dem Wesen der heutigen Vielvölkerstadt Königsberg zuwiderläuft. Hier dürfte es sicher noch zu einigen Auseinandersetzungen kommen. Auf jeden Fall werde, so versicherte Schwedik, die Fassade der Synagoge „in ihrer ursprünglichen Form“ rekonstruiert. Man darf daher hoffen, daß zumindest ein Teil der architektonischen Außenwirkung des früheren Bauwerks wiederhergestellt werden kann. Ob angesichts der unverkennbaren Disharmonien und der geringen Zahl aktiver Gemeindemitglieder in gleicher Weise an die sozialen und kulturellen Außenwirkungen der ehemaligen Neuen Synagoge angeknüpft werden kann, die sich über lange Jahre erfolgreich in ihre andersgläubige Umgebung einzubinden wußte, muß man indes leider bezweifeln.































Update! Die Vandalen zertrümmerten die Zeichen auf Eckpfeiler. Bevor der Grundstein wurde mit Neonazi-Zeichen besprüht.

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