Freiheit für Königsberg

Ostpreußens Küste - Elche, Sand und Seeadler.


Grau ist das Frische Haff im Winter, Schaumkronen tanzen auf den Wellen, wenn die Winterstürme darüber hinwegfegen. Auch im Schreckenswinter 1944/45 zeigte sich die herbe Landschaft von ihrer unwirtlichsten Seite. Tausende Menschen kämpften sich über das zugefrorene Haff zur Hafenstadt Pillau - und so mancher versank in den eisigen Fluten. Wir wandern in Gegenrichtung zurück, von Westen nach Osten, vom Frischen zum Kurischen Haff, von der Weichsel bis zur Memel.

Das Augenmerk liegt dabei auf der noch ursprünglichen Natur an der Küste Ostpreußens. Erste Station ist das einstige Königsberg. Viele Häuser sind verfallen, Löwenzahn und Gänseblume kämpfen um ein wenig Erde und Licht. Während in der Stadt das bisschen Natur ein Zeugnis von Verfall und Armseligkeit ist, führt sie an der Memel prachtvolle Regie. Wir begleiten einen Fischer die Memel herab bis ins Haff hinein. Dort lauern Reiher auf reiche Beute, ziehen Seeadler ihre Kreise, füttern Hunderte von Kormoranen ihre Jungen groß. Schon von der Memelmündung sind die gewaltigen Dünenberge auf der Kurischen Nehrung zu sehen.

Ein Fotograf aus Nidden ist ständiger Begleiter der noch heute wandernden Sandberge, die schon mehrfach ganze Dörfer unter sich begruben. Seine Bilder zeigen Kuppen und Furchen, Hügel und Haken, sonderbare Gebilde, die der Wind formt. Im Wald mit seinen vom Wind bizarr verformten Kiefern leben Wildschweine, Füchse und sogar Elche. Letzte Station ist die älteste Vogelwarte der Welt. 1901 wurde Rossitten gegründet. Die Vögel nutzen die Nehrung als Landbrücke auf ihrem Zug und finden ungestörte Rastplätze. Hier drehte der bekannte Tierfilmer Heinz Sielmann seinen ersten Film "Vögel über Haff und Wiesen". Ausschnitte aus seinem Film und weitere Archivaufnahmen zeigen, wie wenig sich das Gesicht der Landschaft, allen politischen Veränderungen zum Trotz, in den vergangenen 60 Jahren gewandelt hat.

Wird aus Kaliningrad wieder Königsberg?


Als sich im Verlauf des Jahres 1991 der Zerfall der Sowjetunion abzeichnete, besannen sich etliche russische Städte ihres historischen Namens, den sie in der Folge der kommunistischen Oktober-Revolution von 1917 verloren hatten, und betrieben erfolgreich die Rückbenennung. Herausragendstes Beispiel: Aus Leningrad wurde wieder St. Petersburg. Aber auch andere Städte folgten: Swerdlowsk (seit 1924) wurde wieder Jekaterinburg und Gorki (seit 1932) wieder Nishnij Nowgorod. Bereits im Jahr zuvor (1990) hatte Kuibyschew (seit 1935) seinen alten Namen Samara angenommen, und Kalinin (seit 1931) kehrte erneut zur historischen Bezeichnung Twer zurück. Nicht so hingegen Kaliningrad, die alte ostpreußische Hauptstadt Königsberg, die 1946 nach dem verstorbenen sowjetischen Staatsoberhaupt Michail Kalinin, einem engen Gefolgsmann Stalins, benannt worden war.

Obwohl es nach 1991 zahlreiche Versuche gab, der Stadt ihren früheren Namen zurückzugeben, scheiterten sie zumeist am Einspruch Moskaus mit der Begründung, vorerst solle es in Rußland keine Umbenennungen von Städten mehr geben. Doch dahinter verbarg sich mehr: Königsberg gehörte eben nie zu Russland, sondern war eine Stadt des „faschistischen Feindes“, die man mit viel Blut besiegt hatte. Deshalb sind es auch vor allem die Veteranen, die sich bis heute gegen die Umbenennung wehren, sehen sie sich darin doch um ihren „Lohn“ gebracht, abgesehen davon, dass sie eine solche Maßnahme als eine weitere „Germanisierungstendenz“ ablehnen, die sie seit der Öffnung des Kaliningrader Gebietes (1991) überall zu wittern glauben. Unterstützt werden sie in ihrem Bestreben im übrigen von der Kommunistischen Partei.

Aber die Tage der letzten Veteranen sind gezählt, und das weiß auch der neue Gebietsgouverneur Nikolaj Zukanow, der sich nicht mehr unbedingt gegen eine Rückkehr der Stadt zu ihrem historischen Namen sträuben will, wie er vor kurzem vorsichtig andeutete. Treibende Kräfte sind in letzter Zeit aber insbesondere die Orthodoxe Kirche, die unlängst eine „baldige Abkehr von der Benennung nach dem ‚Erzverbrecher’ Kalinin“ verlangte und die sich darum bemüht, den Grund und Boden vor dem Hauptbahnhof der Stadt, wo die Statue Kalinins steht, aufzukaufen, um diese dann schnellstmöglich zu entfernen und an ihrer Stelle eine Kapelle zu errichten. Aber auch die jungen russischen Intellektuellen vor Ort, Akademiker und Studenten, setzen sich seit langem nachhaltig dafür ein, dass die Stadt ihren alten Namen Königsberg zurückerhält. Unter anderem demonstrieren sie das dadurch, dass sie ihre Autos mit Königsberg-Aufklebern oder entsprechenden zusätzlichen Schriftzügen an den Nummernschildern versehen. Und wenn das alles immer noch nicht überzeugen sollte, dann wird – wie schon 2005 bei den 750-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt – gerne darauf hingewiesen, dass Königsberg bereits im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) fast fünf Jahre lang eine russische Stadt war, besetzt von den Truppen der seinerzeitigen Zarin Elisabeth, nach deren Willen dies keineswegs nur eine Okkupation, sondern eine Annexion sein sollte. Außerdem wurde die ostpreußische Hauptstadt Anfang 1813 durch russische Truppen von der napoleonischen Herrschaft befreit, womit nach Ansicht etlicher Russen Gründe genug vorliegen, um der Stadt ihren alten Namen wiederzugeben, da diese sich ja zumindest für einige Zeit in russischem Besitz befand und dabei dennoch den deutschen Namen Königsberg beibehielt…

Wolfgang Reith

Grundsteinlegung der Neuen Synagoge in Königsberg

In Königsberg wurde am vergangenen Sonntag der Grundstein zum Wiederaufbau der Neuen Synagoge gelegt



Der 16. Oktober 2011 war für das Königsberger Judentum ein besonderer Feiertag: Auf der Lomse wurde an der Lindenstraße („uliza Oktjabrskaja“ Nr. 3), in unmittelbarer Nähe des Doms, in einem feierlichen Akt mit dem Wiederaufbau der alten Neuen Synagoge begonnen. Der neue Bau soll sich am ursprünglichen Entwurf des deutsch-jüdischen Architekturbüros Cremer & Wolffenstein orientieren. Die 1896 eingeweihte liberale Synagoge war die Hauptsynagoge Königsbergs und Zentrum des örtlichen Judentums, das sich seiner deutschen Umgebung weitgehend assimiliert hatte. Sie galt Kennern der Materie als eine der schönsten Synagogen Deutschlands oder sogar Europas.




Durch die Zuwanderung von Juden aus dem östlichen Europa ist Königsberg seit dem 19. Jahrhundert nach Berlin und Breslau zum dritten Zentrum des deutschen Judentums geworden, so daß zeitweise bis zu drei Prozent der Königsberger Bürger Anhänger des mosaischen Glaubens waren. Schon im 17. Jahrhundert hatte es in Königsberg eine erste Synagoge gegeben, zu der sich im Laufe der Zeit weitere Gotteshäuser für die verschiedenen Ausprägungen des Judentums gesellten. Seit der Gründung des Kaiserreichs setzte sich unter den Königsberger Juden endgültig eine liberale Ausrichtung durch, wobei es in der Hauptgemeinde unter anderem zur Einführung der deutschen Sprache sowie des Orgelspiels in den Gottesdienst kam. Dies führte zu Auseinandersetzungen und schließlich zu einer Spaltung der Gemeinde in eine orthodoxe und eine progressive Gruppe, die nun beide ihre eigenen Synagogen bauten. Die kleine orthodoxe Gemeinde Adass Jisroel baute ein neues Gotteshaus an der alten Synagogenstraße, die rasch anwachsende liberale Gemeinde bezog die im Vergleich zur nunmehrigen Alten Synagoge deutlich größere Neue Synagoge auf der Dominsel. Dieses liberale Gotteshaus zeigte seine Hinwendung zum Deutschtum nun nicht nur in der seinen Innenraum prägenden großen Orgel, sondern auch in seiner Fassade: Maßgeblich scheint hier die typische norddeutsche, auf den Deutschen Orden verweisende Backsteingotik auf, welche mit einigen orientalisierenden Elementen verschmolzen wurde. Alle Königsberger Synagogen erlitten im Zuge der sog. „Reichskristallnacht“ schwerwiegende Beschädigungen. In der Neuen Synagoge wurden dabei nicht nur die Torarollen verbrannt, sondern in gleicher Weise symbolisch auch die Orgel - augenscheinlich um den Ausschluß der Juden aus der deutschen Kulturgemeinschaft zu versinnbildlichen. Das Gebäuse selbst wurde erst während des verheerenden Luftangriffs der Briten auf Königsberg weitestgehend zerstört und schließlich in seinen letzten Überresten nach dem Krieg abgetragen.


Nur eine handvoll Königsberger Juden überlebte den Krieg und die sowjetische Besatzung in ihrer Heimatstadt, und fast alle davon sind entweder in die nachmalige Bundesrepublik vertrieben worden oder in andere Gebiete der Sowjetunion bzw. ins Ausland abgewandert. Die heutige jüdische Bevölkerung des Königsberger Gebietes setzt sich daher aus landesfremden Zuwanderern zusammen, die erst nach dem Krieg aus anderen Gebieten der einstigen Sowjetunion hierhin eingewandert sind. Die meisten von ihnen sind entweder areligiös oder hängen orthodoxen Richtungen des Judentums an, wobei keiner der Zuwanderer in der Tradition der ursprünglichen deutsch-jüdischen Gemeinde steht.


Schon seit einiger Zeit gab es seitens des orthodoxen Königsberger Rabbinats unter Oberrabbiner David Schwedik Bestrebungen, die Neue Synagoge wiederaufzubauen. Bisher reichten dazu freilich die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht aus, da das Königsberger Rabbinat offiziell nur etwa 2.000 Gläubige zählt und diese nicht unbedingt eifrige Synagogengänger sind. Überraschend ist dem „Fond zur Errichtung der Königsberger Synagoge in Kaliningrad“ im September doch noch eine Spende zugegangen, die den Synagogenbau ermöglichte. Rabbiner Schwedik hielt sich bisher über die Herkunft des Geldes bedeckt, doch zur Grundsteinlegung ließ das Rabbinat durchsickern, daß der Königsberger Handelsmagnat und Multimillionär Wladimir L. Kazman etwa fünf Millionen Euro für den Bau gespendet habe. Kazman wurde nun auch bei der Grundsteinlegung offiziell als Hauptgeldgeber vorgestellt.


Am Sonntag, dem 16. Oktober, begann um 12 Uhr Ortszeit die feierliche Zeremonie der Grundsteinlegung unter der Leitung des Königsberger Oberrabbiners. Der Termin war nach jüdisch-kabbalistischen Erwägungen bestimmt worden, da er in die Zeit des Laubhüttenfestes und dabei zugleich auf den 18. Tag des Monats Tischri fiel, so daß sich der Feiertag mit der kabbalistischen Glückszahl 18 - dem Zahlwert des hebräischen Wortes chaj = Leben - kombinierte. Neben Schwedik sprachen dabei unter anderem Bürgermeister Alexander Jaroschuk sowie weitere Vertreter der Politik und des örtlichen Judentums. Unter ihnen befand sich auch der bundesdeutsche Konsul Aristide Fenster, dessen Anwesenheit von den russischen Medien auffälligerweise nicht erwähnt wurde. Zugegen waren zudem einige Abgeordnete der Gebietsduma und des Stadtrates sowie konsularische Vertreter Litauens, Polens und Deutschlands, vor allem aber jüdische Einwohner Ostpreußens. Nach Angaben der Jüdischen Gemeinde kamen so insgesamt etwa 100 Teilnehmer zusammen, tatsächlich aber waren es nur gut halb so viele. Diese geringe Beteiligung spiegelt die beschränkte Bedeutung der jüdischen Religion im Königsberger Gebiet wider, die diametral im Verhältnis zur Dominanz jüdischer Vertreter in der regionalen Wirtschaft und Politik steht.


- „Als stolzer Jude möchte ich in Königsberg leben !“ -


Neben den allgemeinen Ansprachen wurde durch Rabbiner Schwedik der Grundstein, bei dem es sich allerdings nicht um einen Baustein, sondern um einen großen Granitblock handelt, feierlich enthüllt und geweiht. Auf ihm befindet sich eine Tafel mit einer Inschrift in hebräischer und russischer Sprache, die neben dem Datum die Worte „Grundstein des Wiederaufbaus der Königsberger Synagoge“ beinhaltet. Ausdrücklich wird hierbei der deutsche Name der Stadt verwendet, der damit offiziell Teil des neuen Gebäudenamens wird. Daran änderten auch gegenteilige Bemühungen des Rabbinatssprechers, Zeitungsherausgebers und Anführers einer regionalen Rockergruppe Lwowitsch Sterlin nichts, der nicht nur in dieser Hinsicht von seiner eigenen Gemeinde isoliert ist. Auch Finanzier Kazman ist ein bekennender Anhänger des Namens „Königsberg“, dessen offizielle Wiedereinführung er in der letzten Zeit öffentlich gefordert hat. In einem Zeitungsinterview sagte er dazu: „Als stolzer Jude möchte ich in Königsberg leben !“ Mit einem Massenmörder wie Kalinin will die Jüdische Gemeinde in Königsberg jedenfalls nichts zu tun haben.



Ohne Streit verlief freilich auch die Grundsteinlegung nicht. Die Jüdische Gemeinde bringt seit Jahren die russischen Behörden durch eine intensiv betriebene Erinnerung an den „Holocaust“ gegen sich auf, durch die sie sich in Konkurrenz zur staatsdoktrinären Sicht auf die sog. „Opfer des Faschismus“ setzt. Zuletzt mußten sich die russischen Sicherheitsbehörden heftige Vorwürfe durch Vertreter des Rabbinats anhören, weil die Urheber antisemitischer Aufschriften auf Holocaust-Gedenktafeln nicht durch die neue russische Terrorabwehrbehörde, sondern mit eher wenig Engagement durch die normalen Polizeistellen verfolgt wurden. Dies dürfte ein Grund dafür sein, daß eine Reihe führender Politiker nicht zur Zeremonie erschienen ist. Wenig erfreut von der neuen Synagoge zeigten sich auch die Mitarbeiter eines stationären Zirkus', der auf dem ehemaligen Synagogengelände gebaut worden war und nun überraschend in ein neues Domizil umziehen muß. Das Beharren der Jüdischen Gemeinde auf dem frühen Einweihungstermin führte bei den Artisten zu einigem Ärger und dürfte dazu beigetragen haben, daß während der Zeremonie über längere Zeit laute Musik aus der nahegelegenen Zirkuskuppel erklang, durch die das Gebet des Rabbiners und mehrere Reden weitgehend übertönt wurden. Wenig Respekt vor der Zeremonie zeigte unfreiwillig auch Bürgermeister Jaroschuk, indem er sich religiös unbewandert bei der Weihe des Steins in vermeintlicher Anpassung an die Situation nach ostkirchlichem Ritual bekreuzigte und zugleich eine russisch-orthodoxe Gebetsformel sprach - sehr zum Unwillen etlicher jüdischer Teilnehmer.



Über die baulichen Details des Wiederaufbaus besteht offenbar noch eine weitgehende Unklarheit. Während offiziell gesagt wird, es handele sich um einen historisch genauen Wiederaufbau, äußerte Oberrabbiner Schwedik gegenüber der jüdischen Gemeindezeitschrift „Simcha“, daß das Gebäude „kleiner als das vorherige“ ausfallen werde. Die neue Synagoge solle ein „kulturelles, wohltätiges, erzieherisches und sportliches Zentrum“ darstellen. Daß damit die ursprüngliche Inneneinrichtung in ihrer Gesamtheit ebenso hinfällig sein dürfte wie im speziellen die einstige Orgel, die den neuen orthodoxen Nutzern als ein Frevel erscheinen muß, ist evident. Die beschriebenen Funktionen belegen die Absicht, die kleine jüdische Gemeinschaft weiter von ihrer nichtjüdischen Umgebung abzugrenzen, was zwar ganz ostjüdischer Tradition entspricht, aber dem Wesen der heutigen Vielvölkerstadt Königsberg zuwiderläuft. Hier dürfte es sicher noch zu einigen Auseinandersetzungen kommen. Auf jeden Fall werde, so versicherte Schwedik, die Fassade der Synagoge „in ihrer ursprünglichen Form“ rekonstruiert. Man darf daher hoffen, daß zumindest ein Teil der architektonischen Außenwirkung des früheren Bauwerks wiederhergestellt werden kann. Ob angesichts der unverkennbaren Disharmonien und der geringen Zahl aktiver Gemeindemitglieder in gleicher Weise an die sozialen und kulturellen Außenwirkungen der ehemaligen Neuen Synagoge angeknüpft werden kann, die sich über lange Jahre erfolgreich in ihre andersgläubige Umgebung einzubinden wußte, muß man indes leider bezweifeln.































Update! Die Vandalen zertrümmerten die Zeichen auf Eckpfeiler. Bevor der Grundstein wurde mit Neonazi-Zeichen besprüht.